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Auszüge aus
dem BSG Urteil vom 25.08.2004 - B 12 KR 22/02
R
Leitsatz
Besteht im Rahmen der Altersteilzeit
während einer Zeit der vollständigen Freistellung von der Arbeitsleistung
eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt fort und ruht daher insofern der
Anspruch auf Krankengeld, sind Beiträge nach dem geminderten
Beitragssatz (§ 243 SBG V) zu entrichten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, nach
welchem Beitragssatz die
Beiträge für die Krankenversicherung des Klägers bei der beklagten
Krankenkasse während der Freistellungsphase nach dem Altersteilzeitgesetz (AltTZG)
zu bemessen sind.
Der 1939 geborene Kläger vereinbarte mit
der beigeladenen Arbeitgeberin einen Altersteilzeitvertrag, dem zufolge das
Arbeitsverhältnis mit Wirkung vom 1. Februar 1997 als
Altersteilzeitverhältnis fortgeführt und am 30. Juni 2001 ohne Kündigung
enden sollte. Ab dem Beginn der Freistellungsphase am 1. Mai 1999 beantragte
der Kläger eine Ermäßigung des Beitragssatzes,
da er in der Zeit der Freistellung kein Krankengeld beziehen könne.
.......
Entscheidungsgründe
II
.......
Vorausgesetzt, der Anwendungsbereich des
§ 7 Abs 1a SGB IV ist nach den Feststellungen des LSG eröffnet, ist die
Klage unabhängig von der Art der Mitgliedschaft des Klägers bei der
Beklagten auch begründet. Die zu entrichtenden Beiträge sind dann jeweils
auf der Grundlage des nach § 243 Abs 1 Regelung 1 SGB V geminderten
Beitragssatzes
zu bemessen. Personen wie der Kläger, die ihrem Arbeitgeber während einer
Zeit der Freistellung iS von § 7 Abs 1a SGB IV eine Arbeitsleistung weder
schulden noch tatsächlich erbringen, können nämlich in dieser Zeit wegen der
Ruhensregelung in § 49 Abs 1 Nr 6 SGB V einen realisierbaren Anspruch auf
Krankengeld durchgehend und ausnahmslos nicht erwerben. Die Beklagte trifft
in ihrem Fall während der Freistellungsphase kein größeres Leistungsrisiko
als bei Versicherten, die von vorne herein aus der Krankengeldversicherung
ausgeschlossen sind. Hierzu gilt im Einzelnen:
Gemäß § 220 Abs 1 Satz 1 SGB V werden die
Mittel “für die Krankenversicherung” durch Beiträge und sonstige Einnahmen
aufgebracht. Innerhalb des hierdurch begründeten Systems der Globaldeckung
findet eine Differenzierung nach Leistungsarten oder Versicherungssparten
grundsätzlich nicht statt. Dem entspricht auf der Ebene des einzelnen
Mitglieds eine nur gering ausgeprägte Wechselbezüglichkeit von Beitrag und
“Leistung” bzw individuell ausgeprägtem Risiko. Vielmehr beteiligt sich das
einzelne Mitglied entsprechend dem Gedanken des solidarischen Ausgleichs
innerhalb der Versichertengemeinschaft durch grundsätzlich für jeden Tag der
Mitgliedschaft zu zahlende Beiträge (§ 223 Abs 1 SGB V ggf iVm § 240 Abs 2
Satz 2 SGB V in der hier noch anzuwendenden Fassung vor dem 1. Januar 2004)
nach seiner Leistungsfähigkeit an deren Ausgaben (vgl BSGE 69, 72, 74 = SozR
3-2500 § 241 Nr 1 und die dortigen Nachweise).
Ausnahmen von der solidarischen
Finanzierung der Gesamtausgaben sind möglich (§ 3 Satz 2 SGB V “… in der
Regel …”), bedürfen aber der eindeutigen Bestimmung. Hinsichtlich der
Differenzierung der Beitragssätze nach dem Krankengeldrisiko sind die
Regelungen der §§ 241 Satz 3, 242 und 243 Abs 1 Alternative 1 SGB V vor
diesem Hintergrund Ausdruck eines abschließenden Regelungskonzepts (BSGE 76,
93 = SozR 3-2500 § 242 Nr 2). Dies gilt ebenso, soweit innerhalb der
Krankengeldversicherung deren Versicherte in § 241 Satz 3 und § 242 SGB V
typisierend nach der (Dauer der) ihnen bei Arbeitsunfähigkeit zustehenden
Entgeltfortzahlung unterschieden werden und hiervon die Anwendung des
allgemeinen bzw des erhöhten Beitragssatzes abhängt
(BSG aaO und BSGE 69, 72, 74 = SozR 3-2500 § 241 Nr 1).
Gleichermaßen für Pflicht- wie für
freiwillig Versicherte ergibt sich der maßgebliche
Beitragssatz rechtlich grundsätzlich und faktisch in aller Regel aus
§ 241 SGB V iVm der Satzung des Versicherungsträgers. Hiernach sind die
Beiträge nach einem Beitragssatz zu erheben, der in
Hundertsteln der beitragspflichtigen Einnahmen in der Satzung festgesetzt
wird (§ 241 Satz 1 SGB V). Soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, zahlen
Mitglieder Beiträge nach dem allgemeinen Beitragssatz (Satz 2).
Dieser Beitragssatz von
hier in der Zeit ab dem 1. Januar 2000 11,90 vH (§ 10 I. der Satzung der
Rechtsvorgängerin der Beklagten) gilt auf Grund spezialgesetzlicher
Anordnung in § 241 Satz 3 SGB V für Mitglieder, die bei Arbeitsunfähigkeit
für mindestens sechs Wochen “Anspruch” (eine Aussicht) auf Fortzahlung ihres
Arbeitsentgelts … haben. Für den Normalfall geht das Gesetz damit davon aus,
dass Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung gleichzeitig in deren
Sparte Krankengeldversicherung versichert sind und dort für sie wegen der
Ruhensvorschrift in § 49 Abs 1 Nr 1 SGB V rechtlich grundsätzlich und
faktisch in der Regel nur eine Höchstzahlungsdauer des Krankengeldes von
72 Wochen innerhalb einer 78-wöchigen Blockfrist (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB V)
in Rechnung zu stellen ist, während der krankheitsbedingte Ausfall von
Erwerbseinkommen für (mindestens) sechs Wochen durch die - regelmäßig
höheren - Zahlungen des Arbeitgebers kompensiert wird.
Sofern Versicherte der
Krankengeldversicherung demgegenüber nur eine Aussicht auf
Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit für weniger als sechs Wochen haben
und dadurch deren Leistungsrisiko auf eine Höchstzahlungsdauer von mehr als
72 Wochen anwächst, wird der allgemeine Beitragssatz
durch den einheitlichen, dh nicht seinerseits weiter abgestuften (BSGE 76,
93 = SozR 3-2500 § 242 Nr 2), höheren Beitragssatz des
§ 242 SGB V (bei der Beklagten nach § 10 II. 1. ihrer Satzung 14,70 vH)
ersetzt. Dagegen ist nach § 243 Abs 1 Regelung 1 SGB V ein - ebenfalls
einheitlicher - ermäßigter Beitragssatz
(von bei der Beklagten 11,40 vH nach § 10 II. 2. der Satzung) vorzusehen, wo
der Risikobereich der Krankengeldversicherung von vornherein nicht eröffnet
ist, weil “kein Anspruch auf Krankengeld” besteht. § 243 Regelung 2 SGB V
findet in der Krankengeldversicherung entgegen der Revision keine Anwendung
(BSGE 76, 93 = SozR 3-2500 § 242 Nr 2). Auch ist für den Kläger kein
besonderer Beitragssatz (§§ 244 ff
SGB V) einschlägig.
Der Kläger gehört in der Freistellungsphase
seiner Altersteilzeit dem von § 243 Abs 1 Regelung 1 SGB V erfassten
Personenkreis an. Die Norm findet zwar grundsätzlich nur auf solche
Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung Anwendung, die ausnahmsweise
nicht auch gleichzeitig zu den Versicherten der Krankengeldversicherung
gehören. Dies sind insbesondere die in § 44 Abs 1 Satz 2 SGB V ausdrücklich
Genannten und die auf Grund entsprechender Satzungsregelung nach Abs 2
Regelung 1 aaO ausgeschlossenen freiwilligen Mitglieder. Bei ihnen fehlt es
mangels Zugehörigkeit zur besonderen Sparte Krankengeldversicherung der
gesetzlichen Krankenversicherung jeweils bereits an einer Aussicht auf
Krankengeld, sodass das Entstehen von Rechten und “Ansprüchen” (im
rechtstechnischen Sinn der §§ 194 Bürgerliches Gesetzbuch, 40 Abs 1 des
Ersten Buches Sozialgesetzbuch) zweifelsfrei ausgeschlossen ist. Dagegen
führt ein künftig zu erwartendes oder bereits eingetretenes Ruhen von
Ansprüchen auf Krankengeld grundsätzlich und in aller Regel nicht zu einer
Verpflichtung der Kassen, den Beitragssatz auch für
die hiervon Betroffenen satzungsrechtlich zu ermäßigen. Dies ergibt sich
insbesondere daraus, dass die mit dem Ruhen verbundene Erfüllungsfunktion
die Existenz von Ansprüchen (und damit einer regelmäßig vorgängigen Aussicht
auf Krankengeld auf Grund Zugehörigkeit zur Krankengeldversicherung)
rechtlich und logisch voraussetzt, dass der spezifische Risikobereich der
Krankengeldversicherung eröffnet und die Beitrags(satz)gestaltung unter
seiner Einbeziehung gerechtfertigt ist. Darüber hinaus mögen für das
tradierte enge Verständnis des § 243 Abs 1 Regelung 1 SGB V allgemein die
mit dem SGB V generell erfolgte Beschränkung der Ermäßigungstatbestände
gegenüber dem früheren Recht (vgl Peters in Kasseler Kommentar, Stand März
2004, § 243 SGB V RdNr 3) ebenso sprechen, wie die Begründung des
Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BR-Drucks 200/88 S 225 zu § 252 des
Entwurfs).
Sinn und Zweck des § 243 Abs 1 Regelung 1
SGB V gebieten es jedoch, auch dann anzunehmen, dass in seinem Sinne “kein
Anspruch auf Krankengeld besteht” und dem zufolge der ermäßigte
Beitragssatz in § 10 II. 2. der Satzung der
Beklagten anzuwenden ist, wenn - wie in Fällen der vorliegenden Art - eine
gesetzliche Ruhensanordnug die Betroffenen im Ergebnis ebenso vollständig
(wenn auch auf unterschiedlicher rechtlicher Regelungsebene) vom Schutz der
Krankengeldversicherung ausnimmt, wie die Bestimmungen über den Ausschluss
aus dem dort erfassten Personenkreis. Zwar sind Mitglieder der gesetzlichen
Krankenversicherung nicht etwa allein deshalb aus der
Krankengeldversicherung ausgeschlossen, weil sie zugleich dem
Anwendungsbereich des § 7 Abs 1a SGB IV unterfallen. Vielmehr erstreckt sich
unabhängig vom Tatbestand dieser Norm und in Ermangelung von
Sonderregelungen auch ihre Mitgliedschaft gleichzeitig auf die
Krankengeldversicherung, deren besonderen Personenkreis die §§ 44 Abs 1
Satz 1, 45 Abs 1 Satz 1 SGB V über ihren unmittelbaren Regelungsbereich (die
Entstehung von “Ansprüchen” auf Krankengeld im Einzelfall) hinaus unter
anderem umschreiben. Auch auf Arbeitnehmer in der Freistellungsphase findet
damit der Grundsatz Anwendung, dass Mitglieder der gesetzlichen
Krankenversicherung gleichzeitig auch solche der Krankengeldversicherung
sind. Dies gilt erst recht, soweit das Gesetz zur sozialrechtlichen
Absicherung flexibler Arbeitszeiten mit § 7 Abs 1a SGB IV spezialgesetzlich
die Voraussetzungen einer abhängigen entgeltlichen Beschäftigung während der
Freistellungsphase regelt und damit im Anwendungsbereich des § 5 Abs 1 Nr 1
SGB V mittelbar gerade hierdurch die Zugehörigkeit zur
Kranken(geld)versicherung begründet (vgl BT-Drucks 13/9818 S 9). Indes kann
eine mitgliedschaftliche Zuordnung zur Krankengeldversicherung die Bemessung
des Krankenversicherungsbeitrages nach dem allgemeinen
Beitragssatz des § 241 Satz 2, 3 SGB V bzw dem erhöhten des § 242 SGB V
nur dann rechtfertigen, wenn sich diese Mitgliedschaft nicht in einer nur
abstrakten Eröffnung des rechtlich zugewiesenen Risikobereichs bei künftiger
Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen erschöpft, sondern wenigstens
potenziell auch mit der tatsächlichen Erbringung von Versicherungsleistungen
in den Fällen der Arbeitsunfähigkeit (§ 44 Abs 1 Satz 1 Regelung 1 SGB V),
der stationären Behandlung auf Kosten der Krankenversicherung (§ 44 Abs 1
Satz 1 Regelung 2 SGB V) und bei Erkrankung eines Kindes (§ 45 SGB V)
einhergeht. Ein auch wirtschaftliches Risiko der Krankengeldversicherung in
den genannten Fällen, das sich in der Beitragssatzgestaltung der
gesetzlichen Krankenversicherung abbilden kann und der finanziellen
Absicherung durch die erhobenen Beiträge bedarf, ist nämlich allein dann
eröffnet, wenn Mitglieder zumindest die Möglichkeit haben, dass bei ihnen
zahlbare Ansprüche auf Krankengeld entstehen.
.......
Fundstellen
NWB 2004, 2854 |
NZA 2005, 212 |
KrV 2005, 24 |
SGb 2004, 624 |
SozR 4-2500 § 243, Nr. 1
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